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Unterm Strich ist alles anders
(von Uli Menze)
Tief in der Nacht. Den Kragen der Jacke ein wenig hochgeschlagen. Ganz locker und entspannt. Natürlich gehörig angetrunken. Sonst wäre er nicht hier. Er schaut sich vorsichtig um. Er atmet durch: Kein bekanntes Gesicht. Er möchte um Himmels Willen nicht erkannt werden. Er braucht noch ein paar Biere um seine Doppelmoral gänzlich zu vergessen. Irgendwann sitzt er dann in diesem Lokal am Tresen und erwischt sich dabei, sich wohl zu fühlen. Um den jungen Mann anzusprechen fehlt noch etwas Alkohol. Er gefällt ihm und überhaupt scheinen die alle ganz nett zu sein, zumindest die Jüngeren. Eigentlich wollte er ja nie Geld dafür bezahlen. Wer Geld für Sex bezahlen muss ist alt und er ist doch erst 37. Aber anders wird er den nicht ins Bett bekommen. Er ist geil. Und inzwischen ziemlich besoffen. Es wird ihm klar gemacht, dass er anfängt, sich so langsam ziemlich daneben zu benehmen. Er meint dass doch wohl nichts dabei sei, wenn er "’nem geilen Stricher an den Arsch fassen würde". Er zahle alles und ihm gehöre damit auch alles. Er reißt sich zusammen und schließlich schafft er es in ein Taxi. Mit dem Jungen. Der Junge taucht eine Stunde später wieder auf. Er erzählt seinen Kumpels, dass es sich mal wieder um ’nen "Erbsenfreier" gehandelt hat. Von wegen ich liebe Dich, ich hol Dich da raus, Du bist es wert. Aber erst machen wir mal ein bisschen Sex. Natürlich ohne Geld. So wegen der Moral!
Er schimpft noch durch den Hausflur hinter dem Jungen her, als der wütend abhaut. Er findet das einfach furchtbar undankbar. Und er brüllt, so alt könne er gar nicht werden, jemals für Sex bezahlen zu müssen. Und die Nachbarn sollten sich doch um ihren Dreck kümmern. So besoffen ist er. Der Junge muss schwarzfahren um an seinen Ausgangspunkt zurückzukommen. Er leiht sich das Geld für ne Boulette und ne Cola und schläft bei einem Kumpel. Man hilft sich unter Kollegen. Der Besoffene war am nächsten Tag wieder ziemlich nüchtern und saß in einem schwulen Café. Sein Cappuccino trug ein Sahnehäuptchen. Um seinen Tisch einige "Schwestern". Er würde nie wieder saufen, beteuerte er. Der Suff habe ihn in die Stricherszene getrieben und was er dort alles habe mitmachen müssen. Nur knapp, äußerst knapp sei er dem Tode entronnen. Da wollte ihn doch jemand abschleppen. Sah ganz gut aus. Zum Glück habe er noch vor dem Sex Geldforderungen gestellt, dieser billige Stricher. Er habe ihn dann sofort rausgeschmissen.
Das ist ein eher seltener Zufall, dass ich diese Geschichte von Anfang bis Ende miterleben konnte. Es ist leider immer noch nicht selten, dass in der schwulen Welt eine dermaßen spießige, bigotte Doppelmoral gelebt wird. Ein Grossteil der schwulen Gemeinde ist nicht in der Lage, dass was sie von Anderen vehement immer wieder einfordern- selbst dann wenn es schon lange nicht mehr nötig ist - auch nur ansatzweise Anderen entgegen zu bringen: nämlich Achtung, Respekt und Toleranz. Es gibt zu viele Schwule, die die eigentlich doch eher der Heterogesellschaft zuzuordnenden Moral- und Sittekriterien dieser Gesellschaft kopieren. Zumal die Heteros da schon viel weiter sind. Unsere ach so rosarot leuchtende schöne heile Homowelt steht dem Thema "Käuflicher Sex" leider immer noch beschämend und feige gegenüber. Einige glauben immer noch, dass es nur Stricher gibt. Nein! Es gibt auch Freier. Und das soll dann auch so sein. Da ist Moral fehl am Platze, weil hier nichts Unmoralisches geschieht. Eher finde ich solche Verhaltensweisen wie Oben geschildert unmoralisch und widerlich.
Zu leicht wird in unserer Gesellschaft ein kausaler Zusammenhang zwischen Drogen, Kriminalität und Prostitution suggeriert. Das Eine hat mit dem Anderen nicht zwangsweise zu tun. Natürlich gibt es kranke Fixer, die strichern um das Geld für die nächste Dosis aufzutreiben. Weil sie nicht klauen wollen. Natürlich versuchen immer wieder kriminelle, die Stricherszene zu missbrauchen. Erstere verkehren nicht im Kiez. Gegen letztere wird schon seit Jahren in einer konzertierten und koordinierten Aktion zwischen den Wirten und der Polizei erfolgreich rigoros vorgegangen. Wir arbeiten auch eng mit SUBWAY berlin e.V. zusammen. SUBWAY ist ein "Projekt für Jungs die unterwegs sind und anschaffen". SUBWAY bietet eine sehr breite Palette an Angeboten der Hilfe in allen Lebenslagen. Ein Blick auf die Website www.subway-berlin.de lohnt sich. Eine Spende auch.
Es gibt kein Stricherlokal! Strich funktioniert einfach nicht ohne Freier.
Und natürlich sind die gut besuchten Läden in der Szene nicht nur von Strichern und Freiern frequentiert. Ein buntes Gemisch aller sozialer Schichten und schwuler Facetten trifft sich hier. Wobei jedes der Lokale trotz gleicher Zielgruppe seinen eigenen Charakter, seine eigene Atmosphäre hat. Wir stehen dem Thema "Sex für Geld" einfach akzeptanter, toleranter und freier gegenüber, als andere Homosexuelle Treffpunkte. Das alles schafft eine Atmosphäre zwischen Leben, Erleben, Gemütlichkeit und auch einem kleinen Stückchen Abenteuer. Die Ihr Euch bisher nur angetrunken und heimlich trautet, schaut einfach mal so und mit positivem Denken in unseren Kiez. Lasst den Moralisten in Euch zu Hause und Ihr werdet Euch wohl fühlen und vielleicht Euer Denken und Verhalten ändern.
Euer
Uli Menze
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